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Freitag, 17. Juli 2015

Wie kann man einen Menschen beweinen, der gestorben ist? Diejenigen sind zu beklagen, die ihn geliebt und verloren haben. *Moltke*

Liebe Leser, hier vorab eine Warnung: lest diesen Beitrag bitte nicht, wenn ihr euch allein schon vom Titel angesprochen fühlt und euch nicht allein befindet! es ist möglich, dass Tränen fließen, selbst wenn das nicht meine Absicht ist.

Wobei Tränen etwas Gutes sind - was ist das für eine Gesellschaft, in der Tränen als Schwäche gesehen werden? Manche Menschen weinen vor Glück (mein Vater bei meiner Geburt, z.B.) manche aus Wut (ich) und manche aus Trauer. Gut, alle weinen, wenn sie traurig sind. Ausnahmslos.

Und welcher Unmensch würde es dann als Schwäche ansehen, wenn jemand die Fassung verliert und weint? Selbst ohne den Hintergrund zu wissen? Ich will nicht glauben, dass wir schon so weit sind, dass wir unsere Gefühle einschliessen müssen, ein Vorbote von "1984" - Gefühle sind verboten.

Erst kürzlich habe ich mit angesehen, wie sich die Mosaiksteine der Erinnerung bei einer anderen Person wieder zusammengesetzt haben - an eine sehr geliebte Person, die leider - viel zu früh noch dazu - verstorben ist. Wie Person X versucht hat, die Fassung wieder zu erlangen und sich zu beherrschen, den Schmerz zu unterdrücken und dabei lässt sich doch der Trauerprozess nicht aufhalten. Ich kannte diese Person auch, leider nur flüchtig, und viele Mosaiksteine, die mir in den schillerndsten Farben berichtet wurden, setzten sich bei mir selbst als Erinnerung ab, abgespeichert für ein Bild aus Mosaiksteinen, das immer neu zusammengesetzt wird. Wie kann ich dir helfen, wenn ich selbst das nicht erlebt habe? Ich bin bei dir!

Der Mensch muss die Trauer zulassen. Sie erstickt einen sonst von Innen heraus, man wird frustriert und müde, mürbe, man hat keinen Antrieb mehr und lenkt sich ab - doch die Ablenkung bleibt nicht ewig. Egal wie viele neue Menschen man kennen lernt, sie werden das Loch, das zurück geblieben ist, niemals auffüllen können. Sie werden nur am Rande des Kraters stehen und verständnislos hineinblicken, ehe sie es aufgeben, den Grund erblicken zu wollen und wieder gehen. Es geht bei der Trauer nicht darum, den Krater aufzufüllen - es geht darum, ihn zu erhellen, damit man selbst und auch andere in den Abgrund blicken können. Es beruhigt den Menschen zu wissen, wie tief ein Abgrund ist. Nichts macht mehr Angst, als die Unwissenheit, wo man landen wird.

Der Mensch muss seiner Trauer Zeit lassen. Jeder trauert anders und die Wahrheit dieses Satzes wird mir nur langsam bewusst. Ein Verlust, drei Reaktionen: der eine flüchtet sich in Banalitäten, schweigt und spielt den Kasper. Der andere lässt sich beraten und betreuen. Der dritte weiß nicht was mit sich selbst anzufangen, die kleinste Entscheidung wird zur Anstrengung und man stürzt sich in eine zwischenmenschliche Beziehung nach der anderen. Doch wenn der Vorhang fällt und der Abend hereinbricht wird jedem auf seine eigene Art bewusst, dass hinter dem Vorhang nicht mehr das ist, was vorher da war. Und wenn der Schlaf einen nicht rechtzeitig einholt, muss man sich damit beschäftigen. Mit der Zeit, langsam, wird man vermutlich lernen, den Vorhang fallen zu sehen, sich umzudrehen und in die Leere zu sagen: "Ich habe dich geliebt, es ist schade, dass du nicht mehr hier bist."

Von außen betrachtet, kann ich nicht um die Person weinen, die gegangen ist - ich selbst habe diesen Verlust nicht durchleben müssen. Aber ich weine um diejenigen, die zurück geblieben sind und die nun an diesem Krater stehen. Die nun hinter dem Vorhang stehen, sich umdrehen und schweigen. Ich hoffe für dich, für euch, für euch alle, dass ihr euch bald umdrehen möget um zu sagen: "Ich liebe dich, und du wirst für immer bei mir sein."

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