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Freitag, 17. Juli 2015

Jeder ist überzeugt, er könne Bücher kritisieren, nur weil er lesen und schreiben gelernt hat. *Maugham*

...und jeder ist zusätzlich davon überzeugt, das Buch nach dem Einband beurteilen zu können.

Doch es ist eine Tatsache, dass das Parfüm mit dem aufregendsten Design den grauenhaftesten Duft versprüht und der hässlichste Mensch nach dem ersten Kennenlernen der schönste werden kann.

Nichts ist vergänglicher, als das äußere Erscheinungsbild; nichts fragiler, als eine falsch behandelte und als selbstverständlich angesehene Freundschaft.

Als ich meine derzeitigen Mitbewohner kennenlernte, war es bei Sarah ein nichtssagendes und unscheinbares Gesicht - eine Arbeitskollegin eben. Bis wir an der Rezeption standen, beide Hände auf Hündchenhaltung und sie sagte: "Hey, du machst das ja auch", woraufhin ich antwortete: "Na klar, wo soll ich denn sonst damit hin?"  So gingen Jahre ins Land, in denen wir uns immer wieder gerne an diese Situation erinnern und heute ist sie, aufgrund ihrer Charakterzüge, ein wunderschöner Mensch, ohne dass ich objektiv beurteilen könnte, wie ihr äußeres Erscheinungsbild ist. Nun wohnen wir beide mit Olli zusammen in einer WG und unterstützen uns gegenseitig: wenn eine von uns beiden krank ist, kocht und putzt die andere. Wir teilen Einkäufe und Erlebnisse, haben Rituale eingeführt, wie sich gegenseitig von der Arbeit abzuholen und dabei Dampf abzulassen.


Anders hingegen sieht es mit Olli aus. Als ich ihn an der Rezeption sitzen sah, als er Sarah einmal bei uns auf der Arbeit besuchte, sah ich ein Glimmen der Interesse in seinen Augen, war auch nicht abgeneigt. Er erschien mir attraktiv und männlich, fröhlich, freundlich. Damals wohnte er bereits mit Sarah in einer WG und einer weiteren Person, die für diesen Teil der Geschichte irrelevant ist.

Heute sehe ich ihn an und sein Gesicht schmilzt. Seit wir zusammenwohnen, flüchtet er. Er war derjenige, der eine WG mit uns beiden wollte aber er integriert sich nicht, lässt die Balkontür sperrangelweit offen, spricht von Zusammenhalt und gemeinsamen Unternehmungen doch hat, offenbar, kein wirkliches Interesse daran.
Das Handeln steht über den Worten und seinen Worten nach müsste er ein perfekter Freund und Gentleman sein - doch das ist er nicht.

Ja, ich bin Existenzialist und mein Denken beherrscht mein Handeln, beherrscht mein Leben - was ist eine Entschuldigung wert, wenn sich das Ereignis stets wiederholt? Auch ich mache Fehler - doch im Anschluss versuche ich, sie zu vermeiden. Und wenn ich auf eine Sache angesprochen werde, die unangebracht war, denke ich darüber nach, denke "mea culpa", entschuldige mich und vermeide entsprechende Situationen.

Als ich die beiden kennengelernt habe, standen da zwei Parfümflaschen, eine unscheinbar, eine wunderschön. Oder zwei Bücher: eines mit einem aufregenden Einband und eines mit einem grauen und einem Titeldruck. Nur die Zeit, die Diffusion, das Lesen zeigt einem Menschen den wahren Inhalt einer Parfümflasche oder eines Buches.

Und ich bin sehr froh, dass ich mich für beides entschieden habe, um zu dem Schluss zu kommen und zu lernen, dass das Äußere selten mit dem Inneren kongruiert.

Holen wir den Existenzialismus doch in die Gegenwart - wie viele nichtssagende Gesichter könnten in unseren Augen wunderschön wirken!

Ich wünsche euch einen Tag des Friedens! Bis zum nächsten Mal!

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